Zwischen Freiheitsversprechen und Überforderung: Wie New Work wirklich funktioniert
- Birgit Langebartels
- 28. Apr.
- 4 Min. Lesezeit

Die Arbeitswelt hat sich in den letzten Jahren grundlegend gewandelt. Flexibilität ist zum neuen Statussymbol geworden, klassische Hierarchien werden hinterfragt, und Zusammenarbeit findet zunehmend virtuell statt. Was auf den ersten Blick wie ein Befreiungsschlag wirkt, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen jedoch als ambivalente Realität. Denn während die einen im Homeoffice aufblühen und sich in der neuen Freiheit entfalten können, kämpfen andere mit Überforderung, Isolation und dem zunehmenden Verlust von Struktur und Identität. Und deutlich wird: New Work ist weit mehr als das Arbeiten von zu Hause. Es ist ein tiefgreifender Umbruch der Arbeitskultur.
Die Sehnsucht nach Autonomie und Selbstbestimmung ist groß, doch Freiheit ist kein Selbstzweck. Sie braucht Orientierung, Sinn und verlässliche Rahmenbedingungen. Wo diese fehlen, wird aus Selbstverwirklichung schnell Überforderung. Der sogenannte „Long-Homid“-Effekt beschreibt genau das: Wer über längere Zeit ohne klaren sozialen und strukturellen Rahmen arbeitet, verliert häufig an Bindung, Fokus und Sinn. Grenzen verschwimmen, Routinen lösen sich auf – und selbst digitale Meetings können den Mangel an echter Verbindung nicht ausgleichen. Wenn im Außen alles fluide wird, braucht es innere Stabilität.
New Work bedeutet daher nicht, dass jede Struktur abgeschafft werden muss. Im Gegenteil: Es ist ein Kulturwandel, der neue Spielregeln verlangt – nicht weniger, sondern andere. Und das bedeutet auch, mit einigen Mythen aufzuräumen:New Work heißt nicht, dass alle Menschen weniger Struktur wollen oder dass jeder alles mitentscheidet. Es heißt auch nicht, dass Führung per se schlecht oder überflüssig ist. Und es ist schon gar kein Selbstläufer, der nach der Einführung einfach von allein funktioniert.
Was New Work tatsächlich bedeutet: von den Menschen im Unternehmen auszugehen, nicht von den Strukturen. Selbstorganisation ist nicht nur Freiheitsgewinn, sondern eine Herausforderung, die Unsicherheit auslöst. Deshalb braucht es nicht die Abschaffung von Hierarchie, sondern eine neue Art von Führung: temporär, kompetenzbasiert, teamorientiert – und manchmal eben auch ganz klassisch. Denn manche Teams oder Projekte brauchen und wünschen sich klare Führung.
Wirkliche Veränderung entsteht nicht über Nacht. Sie ist ein kontinuierlicher Prozess – und erfordert Zeit, Raum, Lernbereitschaft und Investitionen. Kompetenzen müssen aufgebaut werden, Haltungen hinterfragt, Systeme neu gedacht. New Work ist also nicht effizienter, weil es „schlanker“ ist, sondern erfolgreicher, wenn es bewusster gestaltet wird.
Diese neue Realität stellt nicht nur Mitarbeitende vor große Herausforderungen – sie verändert auch das Recruiting grundlegend. Menschen suchen heute nicht mehr nur nach einem attraktiven Gehalt oder einem schicken Büro. Sie suchen ein Umfeld, das sie fordert und trägt. Einen Arbeitgeber, der Entwicklung ermöglicht, Sicherheit bietet und ein echtes Gefühl von Zugehörigkeit schafft.
Dabei sind es nicht oberflächliche Benefits, die überzeugen. Was zählt, sind tiefere Bindungsfaktoren: das Gefühl, mit der eigenen Arbeit einen sinnvollen Beitrag zu leisten. Die Möglichkeit, Verantwortung zu übernehmen und gesehen zu werden. Ein Rhythmus, der mit dem Leben kompatibel ist. Und nicht zuletzt: Wertschätzung und Stabilität in einer sich permanent verändernden Welt.
In meiner tiefenpsychologischen Forschung bei b.forscht (www.b-forscht.de) generiere ich genau diese Insights: Ich lege Menschen sinnbildlich auf die Couch, bringe ihre unbewussten Motive, Sorgen und Sehnsüchte ans Licht und arbeite heraus, was sie wirklich bindet. Es sind diese verborgenen Dynamiken, die am Ende darüber entscheiden, ob New Work tatsächlich trägt – oder zur leeren Hülse wird.
Unternehmen, die das verstanden haben, gestalten nicht nur neue Arbeitsformen, sondern schaffen neue Arbeitswelten. Sie bieten mehr als nur Aufgaben – sie stiften Identität. Doch das gelingt nur, wenn der Wandel auch im Inneren ankommt. Denn echte Transformation beginnt nicht mit neuen Tools oder Strategien, sondern mit Haltung. Mit psychologischer Sicherheit, mit Raum für Dialog, mit einer Führung, die inspiriert statt kontrolliert – und die nicht nur nach Titeln führt, sondern nach Talenten.
In einer Zeit, die von Unsicherheit und Komplexität geprägt ist, braucht es mehr als Durchhaltevermögen. Es braucht Resilienz – die Fähigkeit, mit Herausforderungen konstruktiv umzugehen, an ihnen zu wachsen und gemeinsam neue Wege zu gehen. Resilienz entsteht aus einer gesunden Mischung innerer und äußerer Ressourcen: aus Überzeugungen, Selbstwirksamkeit und Selbstfürsorge, aber auch aus unterstützenden Beziehungen, klarer Kommunikation und einer tragfähigen Kultur.
Die Krisen der letzten Jahre haben uns gezeigt: Wir können uns verändern. Wir können lernen. Und wir sind stärker im Miteinander. Zukunftsfähige Organisationen setzen deshalb nicht auf kurzfristige Effizienzgewinne, sondern auf langfristige Menschlichkeit. Sie schaffen Räume, in denen Menschen wachsen, sich einbringen – und bleiben wollen.
New Work braucht Inner Work. Und Zukunft braucht mehr als moderne Tools – sie braucht Tiefe, Haltung und Menschlichkeit.

Birgit Langebartels ist Diplom-Psychologin und Gründerin von b.forscht, einem Institut für tiefenpsychologische Marktforschung mit Sitz in Köln. Nach über 25 Jahren Erfahrung, unter anderem als „Head of Gender & Generation“ am renommierten rheingold Institut, hat sie 2024 den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt. Ihr Ziel: Marktforschung erlebbar machen und Unternehmen durch echte, direkt nutzbare Insights zu mehr Entscheidungssicherheit und kulturellem Wandel verhelfen.
Mit ihrer Expertise in qualitativer Forschung, ihrer Leidenschaft für psychologische Zusammenhänge und ihrem pragmatischen Ansatz begleitet sie Organisationen dabei, komplexe Themen wie New Work, Mental Health oder Employer Branding tiefgreifend zu verstehen und wirksam zu gestalten. In ihrem Beitrag auf unserem Blog zeigt sie, wie echter Wandel nicht nur Tools, sondern Haltung braucht – und wie psychologische Sicherheit zum Schlüssel für zukunftsfähige Arbeitswelten wird.
Kontaktdaten:
Telefon: +491638951340
E-Mail: langebartels@b-forscht.de
Website: https://www.b-forscht.de
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